Mitleid und Mitgefühl sind zwei Paar Schuhe
Das eine macht dich krank, das andere glücklich. Mitgefühl hilft dir und anderen in vielfacher Weise, während Mitleid dir eher schadet. Mitleid und Mitgefühl werden leider trotzdem oft als Synonym verwendet.
- Aber was genau ist der Unterschied
- Und weshalb ist Mitgefühl hilfreich?
- Wie kannst du es aktivieren?
Das alles erfährst du in diesem Artikel.
Der Schaden, den Mitleid anrichtet
Maria S. erzählte mir vor einiger Zeit von der schrecklichen Situation eines Geschäftspartners, mit dem sie schon seit Jahren immer wieder zusammenarbeitet. Dessen Frau war gerade bei einem Autounfall gestorben. Der Mann war nun allein mit seinem Schock, zwei pubertierenden Kindern und seinem Unternehmen. Und dementsprechend überfordert.
Maria S. hatte so viel Mitleid mit ihm, dass sie sich ganz hilflos fühlte. Sie lamentierte und redete sich dabei immer mehr in Rage. Am Ende war sie fix und fertig und total gestresst. Und ich auch…
Was genau macht Mitleid mit dir
Wer „mit-leidet“, hat das Gefühl, nichts entgegensetzen zu können. Er leidet und erlebt sich hilflos.
Hilflosigkeit schwächt das gesamte System. Schon allein deshalb ist Mitleid kontraproduktiv. Am Ende leiden zwei, nicht nur einer.
Das war auch bei Maria sehr deutlich zu sehen. Sie hatte – je länger sie redete – umso weniger Ideen, wie sie dem Mann wirklich helfen konnte. Dafür umso mehr Klagen. Ihr fehlte komplett der innere Abstand. Ihr Herz klopfte schneller und sie verspannte sich im ganzen Körper.
Durch Mitleid entsteht auch leicht ein Gefälle zum Gegenüber. Maria benutzte die Worte: „Er tut mir so leid, der Ärmste. Dass es bei ihm aber auch immer wieder so dick kommt! Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm helfen kann…“
Spür diesen Worten mal genau nach. Wie fühlen sie sich an? Sie klingen ein bisschen von oben herab, richtig? Obwohl Maria das natürlich nicht beabsichtigt hatte.
Doch solche Worte zeigten, dass Maria nicht ganz auf Augenhöhe war. Das war ein unbewusster Versuch, sich vom Leiden des anderen zu distanzieren. Aber derlei Worte des Bedauerns verstärken den Schmerz des anderen eher als dass sie ihn lindern.
Was hat Mitleid mit Burnout zu tun
Mitleidsempfinden ist nicht selten die Ursache für Burnout. Das haben psychische Gefährdungsbeurteilungen in Krankenhäusern gezeigt. Krankenschwestern, die sehr viel Mitleid empfanden, rutschten schneller in einen Burnout als Krankenschwestern, die eher Mitgefühl entwickelten.
Maria setzte sich selbst zu stark in Bezug zum Leiden dieses Geschäftspartners. Sie hielt innerlich keinen Abstand. Dadurch fühlte sie ihre Hilflosigkeit viel stärker.
Im Grunde konnte sie ihrem Geschäftspartner nicht helfen. Schließlich hatte er seine Frau verloren. Aber dieses Gefühl von Hilflosigkeit setzte bei Maria das erlernte Verhaltensmuster „Ich muss mich mehr anstrengen, dann kann ich doch noch etwas bewirken“ in Gang.
Solch ein Verhaltensmuster erzeugt immer eine Abwärtsspirale. Die führt logischerweise zum Scheitern. Am Ende steht der Burnout. Das System ist „heiß gelaufen“, weil die innere Distanz fehlte und es nicht abkühlen konnte.
Hm. Einen Topf lässt man ja auch nicht auf der heißen Herdplatte stehen, wenn er eigentlich abkühlen soll…
Mitgefühl und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit
Wenn du Mitgefühl entwickelst, bleibst du mit dir selber im Kontakt. Und zugleich mit anderen Menschen. Das Mitgefühl hilft dir, eine innerlich zugewandte Distanz aufzubauen. Das ist etwas ganz anderes als distanzierte Gleichgültigkeit.
Mitfühlend kannst du tatsächlich hilfreich sein. Du hast nämlich bessere Ideen, was du tun kannst, da du nicht leidest. Das wiederum schenkt dir die Erfahrung, dass du etwas Gutes bewirken kannst. Dass es einen Unterschied macht, ob du da bist oder nicht. Das setzt eine Aufwärtsspirale in Gang.
Maria hätte ihrem Geschäftspartner einfach nur still zuhören und seine Trauer AUSHALTEN brauchen. Ihm sagen, dass sie nicht wüsste, was sie sagen sollte. Schweigend seine Hand nehmen. Einfach da sein.
Anspruch zerstört Mitgefühl
Marias hoher Anspruch an sich selbst machte es ihr unmöglich, ihren Geschäftspartner in seiner Trauer zu begleiten. Sie konnte ihn da nämlich nicht herausholen. Mit diesem Anspruch konnte sie nur scheitern. Denn Trauer lässt sich nicht einfach mal so wegnehmen. Sie braucht ihren Platz und ihre Zeit.
Hätte Maria mal Mitgefühl entwickelt und dabei innerer Distanz gehalten. Besser als zu lamentieren und mitzuleiden. Dann hätte sie die Erfahrung gemacht, dass ihre Anwesenheit wichtig sein kann. Das hätte ihr Selbstvertrauen gestärkt. Und ihr eigenes Vertrauen ins Leben.
Solche Erfahrungen verstärken sich dann in einer Aufwärtsspirale. Mitgefühl wird dabei immer leichter. Und Je mehr Erfahrung von Selbstwirksamkeit jemand gemacht hat, umso gelassener wird er. Und umso mehr Zuversicht hat er.
Maria konnte zwar ihr Unternehmen führen, aber mit emotionalen Krisen hatte sie so ihre Schwierigkeiten. Auch in ihrem Betrieb. Es war ihr am liebsten, wenn die Leute funktionierten und sie nicht brauchten.
Aber genau das erzeugte immer wieder Konflikte, die wie Sank im Getriebe wirkten. Sie störten die Abläufe. Doch Maria fühlte sich dem gegenüber hilflos. Sie befand sich in der Abwärtsspirale, die durch Mitleid entsteht.
Mitgefühl braucht Aufmerksamkeit
Beobachte, welche Wirkungen deine Handlungen haben. Dann weißt du, was gerade am hilfreichsten ist.
Sobald du mitfühlst, geht es nicht um dich. Du siehst und spürst das Leiden, ohne es in Bezug zu dir selbst zu setzen. Du hältst innerlich Distanz, ohne deine Aufmerksamkeit für das Leiden zu verlieren. Innere Distanz erzeugt Handlungsfähigkeit.
Deshalb wird Mitgefühl in allen religiösen und spirituellen Traditionen angestrebt. Es schützt dich und hilft dir, dich nicht als Opfer zu fühlen.
Beobachte dich mal selbst in der nächsten Zeit. Wann fühlst du dich hilflos und wann kraftvoll im Angesicht von Leiden? Mach dir Notizen dazu.
Wenn es dir schwerfällt, Mitgefühl für jemand anders zu empfinden, dann probier erstmal damit, Mitgefühl für dich selbst zu entwickeln.
Hanne Demel
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